Aus dem Tagebuch eines wackeren Streiters. Archiviert im Jahr 2050, gefunden im Bestand des Vereins für historische Unzulänglichkeiten Rostock.
6.12.2014
Sie kommen… Sie kommen…
Und sie kamen. Mit aller Macht standen sie dort, Schwerter klirrten aufeinander und anfangs sah es gar nicht so über für uns aus. Wir versuchten unsere Linien zu halten und wagten sogar kleine Vorstöße, doch niemals konnten wir dem Feind ernsthaft schaden. Dann wurden wir unaufmerksam. Ein kurzer, eigentlich unbedeutender Vorstoß von Karas Fußtruppen sorgte für den Ausfall unseres Truppenoffiziers Schünemann. Dieser ging zu Boden und machte den Weg frei. Die allgemeine Verwirrung nutzte letztlich die Vorstoßtruppe um Feldwebel Krohne, die die Bogenschütze des Unteroffziers Brinkies überrannten. Danach war es aus bei uns. Zu der Erschöpfung gesellten sich Mutlosigkeit und Angst. Wir konnten uns nicht mehr wehren, wollten uns nicht mehr wehren und schließlich fügten wir uns in unser Schicksal. Heerführer Vollmann musste mit ansehen, wie wir ein zweites Mal überrannt wurden. Fauliges Obst flog von den Mauern auf uns nieder, die Bevölkerung schickte uns mit Schmährufen und Pfiffen zurück in die Stadt und wir erlebten einen der schwärzesten Tage unseres Lebens.
7.12.2014
Die Müdigkeit des Vortags steckte uns allen noch in den Knochen. Keiner von uns wollte oder konnte Stellung zu den Vorfällen vor der Stadtmauer beziehen, als wir uns allesamt abschlachten ließen. Eine Konsequenz gab es allerdings schon vor dem ersten Hahnenschrei. Heerführer Vollmann wurde aus der Festung verbannt. König Dahlmann konnte die Misserfolge nicht länger akzeptieren, sah er doch die durch Hunger schwindende Bevölkerung, die müden, ausgezehrten Gesichter der Verbliebenen und die Angst und Mutlosigkeit der Soldaten. Wir versuchten unserem Tagwerk nachzugehen, übten unter Leitung des zweiten Heerführers Ehlers auf dem Traininigsplatz und ließen so die Zeit verstreichen.
9.12.2014
Noch immer sind wir aufgewühlt, wenn wir an letzten Samstag denken. Albträume verfolgen uns, brennende Belagerungsgeräte, zwei zu Boden gegangene Offiziere. Ein Münsteraner Heer, welches uns ohne Mühe überrollte. Wir haben keinen Rhythmus, keinen Mut, keine Führung. Doch vielleicht wird jetzt alles anders. Der Wind drehte auf West und mit ihm kam ein Reiter, ohne Melder, ohne Gefolge. Sitzend auf seinem grauen Ross, der Helm poliert und das Visier hochgeklappt. Spekuliert haben wir viel - könnte das unser neuer Heerführer sein? Kurz danach kam die Bestätigung durch den Ausrufer Kubitz. Kasimir, der Mann, der den Baum hieb, sollte den Posten des gescheiterten Peters übernehmen. Heerführer Baumann, so nannten wir ihn kurz, sollte uns also in Zukunft ins Feld führen. Eindruck machte er auf jeden Fall, auch in der Bevölkerung. Wir hörten uns abends in der Kneipe um, Eiffhammer rief durch den rauchgeschwängerten Raum, dass Kasimir ja nur der nächste sei, der auf der Schleuder sitzt und auch oliksa pflichtete ihm bei, mit dem Humpen winkend: „Ist wirklich nicht mein Wunschkandidat, aber wir werden sehen…“ Der Rest ging in einem lauten Rülpser unter. hansainrbg war ein wenig zuversichtlich, während er an der Feuerstelle saß und mit dem Schürhaken in der Glut stocherte: „Ich hoffe sehr, dass er in der Lage ist das Ruder noch rechtzeitig rumzureißen“ Und HansaBoy97, der jüngste der Kneipenbesucher, dem kaum ein Flaum am Kinn spross rief wild entschlossen hinein: „Karsten Baumann (anscheinend machte schon ein verkürzter Name die Runde in der Bevölkerung) ist jetzt unser Cheftrainer (auch an dieser Stelle sei angemerkt, dass HansaBoy97 sicher Heerführer meinte und nur das Bier seine Sinne vernebelte) und verdient unsere vollste Unterstützung.“ Im Verlauf des Abends wurde aus der wilden Geschichte des Kasimirs, der den Baum hieb, gar ein lustiges Wortspiel, bei dem es allen Anschein nach darum ging, möglichst viele Baummetaphern zu bilden - nun ja, schon sehr verschroben dieses betrunkene Völkchen.
Vorher, am Nachmittag, sahen wir unseren Heerführer schon das erste Mal. Er begrüßte uns und stellte sich vor. Einige von uns hatten bereits von ihm gehört, anderen war er völlig unbekannt. Er sagte uns, dass es wichtig sei, dass wir jetzt den Mut aufbringen, den Gegner zu besiegen. Das wir unsere Kräfte bündeln, um den Feind niederzuringen und das unser erster Gedanke nach dem Aufstehen dem Siegen gelten soll.
12.12.2014
Verunsichert sind wir immer noch, aber nicht mehr mut- und hoffnungslos. Für uns beginnt eine neue Zeitrechnung und jeder scheint sich etwas mehr auf dem Trainingsplatz anzustrengen. Pfützen von Schweiß vermischen sich mit dem aufgeweichten Boden. Kalter, feuchter Wind beißt in unsere wettergegerbten Gesichter und knallhart fordert unser neuer Heerführer Disziplin von uns. Und wir werden sie zeigen.
Die Pferde sind gesattelt, die Marketenderwagen gepackt. Wir ziehen gen Erfurt, eine Reise, die wir alle nutzen werden, um unsere Gedanken zu ordnen und unsere Konzentration zurückzuerlangen.
13.12.2014
Wir wissen noch gar nichts, weder, in welcher Formation wir Erfurt belagern, noch, wie sie uns entgegentreten. Doch eins ist für uns sicher. Wir werden unser letztes Hemd geben, alles in die Waagschale werfen und unsere Ehre wiederherstellen. Mitgereiste Bürger unterstützen uns, daheimgebliebene werden sehnsüchtige auf die Melder warten, die wir voraussenden, sobald ein Ergebnis der Schlacht feststeht. Und Heerführer Baumann? Er steht dort vorn, schon fast am Tor angelangt, blickt dem Feind kalt in die Augen und dreht sich dann zu uns um. Wir sehen puren Willen, eine Kraft und Leidenschaft, die uns packt, die uns ansteckt, die uns vollkommen entfacht. Unsere Ordnung einnehmend schlagen wir mit unseren Schwertern auf die Schilde, die Kavallerie scharrt mit den Hufen, die Fanfaren ertönen. Nun ist der Moment, nun kommt die Zeit der Wiedergutmachung!
Wir kommen… Wir kommen…
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