Wir schreiben den 13.12.2013 und ich sitze, mit meinen 29 Lenzen, in einem Führungskräfteseminar in Mönchengladbach.
Der Name des Veranstaltungsortes mit dem klingenden Namen „Statthotel Freiraum“ ist hier Programm. Am Ende wird man die Fragen der Mitarbeiter nach dem „Wie wars?“ mit dem Satz beantworten „Wir haben gelernt, in völliger gegenseitiger Akzeptanz, nackt unseren Namen zu tanzen“. Der mitfünfziger Trainer, welcher wahrscheinlich jünger und stylischer aussieht als ich, appelliert an uns auf die Bedürfnisse und Gefühlsregungen unserer Mitarbeiter einzugehen und selbst äußerst feinfühlig und sensibel , bei der Vermittlung unserer Anliegen und Weisungen vorzugehen.
Meinen Sekundenschlaf durchbricht das lautstarke Aufbäumen des Chefstrategen unseres krefelder Tochterwerks, ein Endfünfziger der seit 30 Jahren einen durchaus autoritären Führungsstil pflegt und werksübergreifend eine Legende im Konzern darstellt:
„Schluss mit dieser Veranstaltung! Dieses hochakademische, weichgespülte und
Pseudo-Messias-Gelaber geht mir auf den Geist. Es wird Zeit dass sie mal in der Realität ankommen!“
Ein Raunen geht durch den Raum und ich denke nur….Köstlich!
Vor 6 Jahren bin ich als Frischling, ohne Studium aber dafür mit mittelmäßigem Abi, einer durchtriebenen Unteroffizierslaufbahn und Außenhandelsausbildung, in die Führungsebene eines weltweit agierenden und börsennotierten Unternehmens gelandet!
Und das wahrscheinlich ausschließlich durch Leistung und Ergebnisse statt mit feinsinnigem und politisch-korrektem Gesabbel!
Ich bin aber in diesem Seminar genauso ein schwarzes Schaf wie der Kollege welcher gerade seinen Ausbruch Richtung des Trainers abfeuerte.
Der überwiegende Teil sitzt mit weit aufgerissen Augen und gezückten Schreibutensilien auf den wahlweise nutzbaren Gymnastikbällen, verzehrt jedes Wort des korrespondierenden Messias und nutzt jede sich bietende Gelegenheit alles zu Bejahen .
Es wird mir eine Welt gezeichnet der ich, in ihren Idealen, nicht folgen kann!
Zum Glück nähert sich stetig der Termin welcher mir schon seit Tagen eine Hühner-Kombi unters Jacket zaubert… Köln auswärts!
Übers IPad flimmert eine nostalgischer Zusammenschnitt welcher mir, bei dem Namen des beglückwünschten Jubilars, ein kleines Schmunzeln durchs Gesicht schießt!
http://www.youtube.com/watch?v=vjftQz6B56M
Während die Gymnastikball-Bearbeiter bei Gladbach, Dortmund oder Düsseldorf sich durch die Logen fressen, stehe ich viel lieber angesoffen und schreiend im K-Block unserer SGD.
Als ich die Gedanken an dieses Gefühl schweifen lasse stellt sich mir unwillkürlich die Frage „Was mache ich hier eigentlich?“
Gesagt getan. Die nächste „Häppchenpause“ wird genutzt um sich von den heilsbringenden Worten des Trainers abzuseilen, aufs Zimmer zu eilen, umzuziehen und ein Taxi nach Müngersdorf zu bestellen. Zu meinem Erstaunen schien sich die Pause verlängert zu haben und ich stehe, nachdem sich die Fahrstuhltür geöffnet hat, mitten in der Gruppe der Seminarteilnehmer. Die Reaktionen der Anwesenden, als sie mich, statt in Jacket und Kant-gebügelter Hose, mit Rollmütze, Schwarzem TNF- Breaker, Gürteltasche, Jeans und NB-Turnies sehen spalten sich wieder in zwei Lager. Die Gesichtszüge der Kombo-Gymnastikball entgleisen mehr in die entsetzt-abwertende Richtung wobei bei der Gegenkombo ein Lächeln über Lippen flitzt, während ich meinen kleinen alten dynamischen Seidenschal unter dem Jackenverschluss verschwinden lasse. Mit den Worten „Ein Notfall“ verlasse ich die Drehtür des Hotels, wie ein Junkie der auf dem Weg zu seinem nächsten Schuss ist und steige ins Taxi!
„Puh das wäre geschafft. Die Realität hat mich wieder.“
Nach einer halben Stunde kurzweiliger Konversation mit dem Taxifahrer kippt die Stimmung nachdem ich die Frage nach dem genauen Zielort in Müngersdorf mit „Gästeparkplatz am Stadion oben an der Aachener Stasse“ beantworte. Mit versteinerter Miene sagt er zu mir dass ich dort nicht wirklich hin wöllte da heute die Ossis in Köln spielen. Ich stelle mich dumm und frage „Welche Ossis?“.
Er antwortet mit abwertender Miene: „Na die Dresdner. Die immer soviel randalieren. Ham se über die noch nix gelesen?
Ich: „Mhh…“
Er: „Die kommen wie die Heuschrecken. Wenn die Aufkreuzen bekommt man‘s schon mit der Angst!“
Nachdem sich wieder Spucke in meinem Mund gesammelt hatte sagte ich:
„Ich hatte gestern und die letzte halbe Stunde nicht den Eindruck dass sie jedwede Angst vor mir hatten.“
Der Taxifahre erstarrte und sagte: „Sie sind auch so einer?“
Da der Zielort sich näherte und sich meine Gedanken eher um den Ausgang des Spiels drehten entschied ich mich das Gespräch mit dem Satz „Willkommen in meiner Welt“ abzukürzen.
Das Taxi stoppte ca. 200 m vor dem anvisierten Zielort mit der Botschaft des Fahrers „Weiter kann ich sie leider nicht bringen. Order von der Zentrale.“
Es schien fast dass sich der Fahrer nicht nur vor den Toren zum Hades wähnte sondern auch sein Weltbild vom gut gekleideten jungen Geschäftsmann, was wahrscheinlich von seiner gestrigen Fahrt mit mir stammte, zerstört wurde.
Also zu Fuß weiter, an einigen Kölnern mit rot-weißen Oktoberfest-Hüten, Fein gebügelten Schals, Trikots der neusten FC-Kollektion, ja sogar roten Schaumstoff-Riesenfingern, vorbei zum Parkplatz.
Von weiten bohrten sich wie Geschosse bereits einige Gelb-Schwarze Fahnen in meinen Sehnerv und ich empfand einen wohligen Schauer des Wohlbefindens in mir aufsteigen.
Fast zeitgleich kam das Gefährt mit den altbekannten Gesichtern aus der Heimat an.
Die Tür schlug auf und es purzelten 4-5 leere Bierflaschen heraus auf welche dann die Insassen folgten.
„Eh Hajo alter Juppie hasts ja sogar pünktlich geschafft. Nimm dir erschtemal ne Kanne, wir ham noch Zeit!“
Weitere Fahrzeuge folgten bis unsere Kombo mit 14 Mann komplett war.
„Endlich zu Hause!“ sagte ich so für mich.
Nur dass zu Hause der Gartenzaun weder grün, schwarz, mit Helm, Mundschutz, Knüppel, Kamera oder beritten ist! Der Parkplatz, welcher noch immer unter dem Druck der zu Tausenden anreisenden Dynamo-Fans ächzte, war nunmehr durch die bewaffneten Organe umstellt.
Nach ein paar Suppen und dem Austausch von den „Aufregern der Woche“ so wie etlichen derben Späßen setzen wir uns zusammen mit der ganzen dynamischen Meute in Bewegung Richtung Stadion! Es wird gesungen, gelacht, getrunken und hier und blitz auch ein Beslauer auf. Gegen kein Geld der Welt würde ich jetzt tauschen gegen die Möglichkeit auf einen Gymnastikball zu sitzen und jemanden in meine Seele schauen zu lassen. Den sie ist direkt hier…..DAS ist meine Seele.
Am Eingang kommt es kurz zu Tumulten da ganze zwei Eingänge zu Gästebereich offen sind.
Ich überlege wieviele Ersatz-Pullen Pfeffi die Bewaffneten eigentlich mitführen da von einigen übermotivierten Behelmten das Zeug völlig inflationär, fast wie Konfetti, in die Menge gepumpt wird. Egal. Weiter.
Die Durchsage einer Dame, welche wunderlich ruhig ja fast schon gehaucht-erotisch, aus dem Kommandowaagen schallt hat der Ordner am Einlass scheinbar überhört.
„Bitte bewahren sie Ruhe an den Eingängen. Um ihnen einen höchstmöglich sicheren Stadionbesuch zu gewährleisten, werden die Eingangskontrollen mit äußerster Gründlichkeit und erhöhtem Aufwand durchgeführt.“
Wenn die so aussieht wie die klingt meld ich mich persönlich zur Körperöffnungen-Kontrolle bei ihr!
Ich hebe meinen Blick und stehe vor einer Teilzeitkraft mit roter Warnweste, welche offensichtlich hier den Eingang kontrolliert, und setze sogleich mein schönstes Lächeln auf, soweit man davon nach 7 Bier noch sprechen kann. Er erwidert dieses und winkt mich durch ohne sich für mich, meine Gürteltasche oder meine Karte zu interessieren während einige der Kombo nebenan in einem alten Sani-Zelt das Innenfutter ihrer U-Hose zeigen müssen!
Ich denke es waren die 9 Harzer-Auerhähne welche meine Augenlieder etwas dem Erdboden entgegen drückten, mir somit einen unbeschreiblichen Schlafzimmerblick ins Gesicht zauberten und mir nunmehr einen zweifelhaften homoerotischen Moment bescherten.
Nachdem ich mich kurz schütteln musste gings in den Block.
Nach einem kurzen Blick ins Rund lies die Hoffnung wachsen dass hier heute was geht!
Die dynamische Fangemeinde strömte weiterhin unaufhaltsam in die Blöcke…gleich geht’s los!
Es erklingt ein undefinierter Gesang eines noch mehr undefinierbaren Ruhrpott-Barden der jedes
2. Wort verschluckt und es nur vermag „Efze Gölle“ verständlich auf die Ränge schwappen zu lassen.
Vorn aufm Zaun hat sich der Jeschke breit gemacht und legt gleich ordentlich los.
Ein altbekannter Sturm, geschmettert aus tausenden Kehlen, bricht, ausgehend vom Schwarz-Gelbem Block, aus.
DY……….Ruhe
Spätestens jetzt bin ich wieder hellwach und die Auerhähne des Platzes über meinen Augenliedern verwiesen!
NA……… Ruhe
Das Adrenalin schießt durch meine Wehnen und reist auch die letzten cholesterin-lastigen Ablagerung im Gefäßsystem mit sich.
MO…….
Mein Nebenmann ist der Meinung erkannt zu haben dass ein Typ im Kölner Block vor Schreck sein Lachsschnittchen fallen gelassen hat!
Da war sie wieder, meine Geflügelkombi.
Auf dem Platz waren wieder meine drei Probleme. Nach nun fast 20 Spielminuten steht es immer noch 0:0 mit Übergewicht bei den Kölnern. Benny hat zwei gute rausgeholt aber ist wieder in völliger geistiger Umnachtung an zwei Ecken vorbeigesegelt.
„Blos gudd das die so blind sin!“ sagt der vor mir, wobei er genau meine Einschätzung getroffen hat.
Die Fehlpassquote ist zum Fürchten und der Bewegungsablauf vom Scheich ähnelt heute wieder mehr einem unbeschwerten Regentanzes als wie BuLi-Fußball.
Der in den letzten Wochen sind mehr und mehr die ketzerische Zweifel am Klassenerhalt aus den Köpfen gewichen, welche hiermit aber definitiv wieder anklopfen.
Doch plötzlich, wie aus dem nichts bekommt Dedic einen Abpraller in der gegnerischen Hälfte auf den Fuß, steht nach 10 Schritten vor frei vorm Kölner Torwart und stochert den Ball mehr dilletantisch als technisch ausgereift ins Netz.
Der allseits beliebte slowenische Söldner schickt sich an der Held des heutigen Abends zu werden und der Blick flippt völlig aus. Ohrenbetäubender Jubel, Bierduschen von allen Seiten und emotionsgeschwängerte Luft mit gefühlten 3 Sauerstoffmolekülen wabert durch die Kurve.
Unten bei den Bautznern gehen die ersten Freudenblinker an.
Herrlich, so kanns weiter gehen!
Halbzeit, Bierzeit!
Der Spielfluß hat sich nicht wirklich verbessert und ist geprägt von unbarmherziger dynamischer Gegenwehr im Spielaufbau und kölner Blindheit im Abschluß.
Und dann passierts…Kawumm…der Ball landet im Tor….in Bennys Tor!
Flanke von rechts, unbedrängter Kopfball von Helmes, Benny steht versteinert auf der Linie, 1:1.
Sinnlos!
Aber noch ist noch nichts verloren und wir gehen schon in die 80ste Minute.
Ich erwische mich beim Fluchen und Bangen bereits zu dem Zeitpunkt als Ouali den Pass auf den Fuß bekommt.
89te……“Pfeife ab jetze! Mann, Mann, Mann!“
Denkste! Der Ball kommt an der Strafraumgrenze von Breg’s Knie zu Ujah, der stochert irgendwie dran ans Spielgerät und das Teil trudelt ins lange Eck…..
Und da waren sie wieder meine 3 Probleme…..Abpfiff.
Nachdem wir fluchend den Schock des späten Tores, u.a. mit einigen Frustbier, überwunden hatten fanden wir uns schon im Auto wieder. Es verbreitet sich nach einigen Zwiegesprächen ein Gefühl welches man schwer beschreiben kann.
Irgendwo zwischen „Das haben wir ja vorher schon geahnt“, „Es wäre auch ein bisl viel des Guten gewesen“ und „Trotzdem haben wir uns gut verkauft“.
Die illustre Auswärts-Kombo-Runde verdient nunmehr wieder diese Bezeichnung denn es wird wieder ausgelassen Philosophiert , Geflachst und…nunja…Gebechert.
In meiner Bierlaune sinniere ich was wohl jetzt die Gymnastikball-Kombo macht während ich hier nach nem verlorenen Auswärtsspiel, durchaus beschwipst, dreckig, zusammengepfercht mit 5 ähnlich zu beschreibenden Gestalten in einem Auto hocke in dem es aus jeder Ecke anders riecht, ca. 200 km entfernt von Bett und Heimat bin und trotzdem ein ausgefülltes und glückliches Gefühl verspüre.
Was haben sie ihren Kindern erzählt wenn sie fragen: „Papa was hast du heut gemacht?“
Ich weiß nur eins dass wenn morgen mein kleiner Sohn ins Elternbett gehüpft kommt und mir genau diese Frage stellt, ich ihm mit reinem Gewissen, eine Geschichte von Glaube, Hoffnung, Treue und Liebe erzählen kann in dem kein Gymnastikball vorkommt!
• • •
-HELM AB HIRN REIN-
This contribution was last edited by Zostl on Dec 10, 2013 at 10:06 PM hours